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Der Liegenschaftswert – ein Messwert für Baukultur?

© iStock / Wüest Partner

4. Mai 2023
Michaela Pöschik | Baukultur persönlich

Der Liegenschaftswert – ein Messwert für Baukultur?

Bei den Marktteilnehmern der Immobilienwelt nimmt die Baukultur einen hohen Stellenwert ein - nicht zuletzt da Liegenschaftswerte Aspekte der Baukultur in vielfältiger Weise widerspiegeln. Ein genauerer Blick.

Kann man Baukultur messen? Ja! So scheint es zumindest, seit im Rahmen des Davoser Qualitätssystems für Baukultur acht Kriterien zur Bestimmung von hoher Baukultur samt 22-seitigem Bewertungsformular zur Verfügung stehen. Der Bewertungsbogen erfasst qualitative Aspekte gemäss der acht Kriterien Vielfalt, Gouvernanz, Umwelt, Kontext, Wirtschaft, Funktionalität, Schönheit und Genius Loci.

Man sollte meinen, dass der Wert einer Immobilie hauptsächlich über den Aspekt der Wirtschaft abgedeckt ist. Dem ist bei genauerem Hinschauen jedoch nicht so: Faktoren, die bei der Bewertung einer Immobilie Einfluss nehmen sind die Lage, die Mieterträge, der Zustand aber auch der Standard der Liegenschaft, die potentiellen Leerstände abhängig von Ort, Objekt und Nutzung, die Funktionalität des Objekts sowie ein marktgerechter Diskontsatz, der die immobilienspezifische Risikoeinschätzung des Marktes widerzuspiegeln versucht. Lassen sich diese Bewertungsmerkmale in den verschiedenen Kriterien für hohe Baukultur wiederfinden?

Langlebige Bauteile führen auf Dauer zu tieferen Kosten und schonen die Umwelt

Aspekte der Umwelt wie beispielsweise die Qualität und Langlebigkeit von Materialien wirken sich in tieferen dauernden und periodischen Instandhaltungskosten aus. Die CO2-Bilanz ist heute aus den Überlegungen zu Objektstrategien (hinsichtlich Renovation, Erweiterung und Ersatz) nicht mehr wegzudenken und Investoren haben in Umfragen klar ihre erhöhte Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Immobilien ausgedrückt.

Langfristiger Nutzen dank hoher Funktionalität

Bei der Funktionalität im Bewertungsmodell handelt es sich um Faktoren wie die Grundrissqualität (ist dieser effizient und kann er sich verändernden Anforderungen anpassen?), Flächenverhältnisse, Raumhöhen und Möblierbarkeit - alles Garanten für Langlebigkeit und Anpassungsfähigkeit über Zeit. Der Komfort in Hinblick auf Licht, Luft und Lärm schlägt sich im Mietertrag und der Vermietbarkeit grundsätzlich nieder (Licht und Sonne sind im Immo-Barometer der Wohnungssuchenden nach dem Mietzins und der Geräumigkeit auf Platz 3). Ein schlechtes Abschneiden punkto Funktionalität führt zu einem tieferen Wert der Immobilie.

Vielfalt schafft Orte!

Die Vielfalt im Hinblick auf den sozialen Mix (erzielt beispielweise durch das Angebot von preisgünstigem Wohnen, aber auch von knapper und grosszügiger geschnittenen Wohnungen für verschiedene Stückpreise) und auf Angebote für verschiedene Altersgruppen (Studenten, Personen im 3ten Lebensabschnitt, Familien usw.) spielt besonders in der Entwicklung von Arealüberbauungen eine wichtige Rolle. Viele Investoren nehmen sich das „S" im ESG zu Herzen und haben erkannt, dass die Vielfalt zu einer höheren Qualität des Lebensraums und schlussendlich auch zur Lagequalität beiträgt. Vor allem, wenn eine gewisse kritische Grösse vorliegt, kann die Ausstrahlung eines Projektes über die Parzellengrenzen hinausgehen und zu einer höheren Lebensqualität für ein ganzes Quartier sorgen. Bei Bestandesliegenschaften führt ein Mangel an Vielfalt, beispielweise durch ein zu einseitiges Wohnungsangebot, für den Eigentümer zu einem gewissen Klumpenrisiko – vor allem in strukturschwächeren Regionen kann sich dies direkt auf die Leerstände auswirken.

Tiefe Leerstände und Fluktuation dank Genius Loci

Dies leitet direkt über zur Idee des Genius Loci, die wiederum eng mit der Qualität des Lebensraumes verbunden ist: Eine Verbundenheit mit dem Ort führt zu weniger Fluktuation, tieferen Leerständen und auch zu einer höheren Sorge seiner Bewohner um ihr Quartier und für die Liegenschaft, die sie bewohnen. Auch der Einbezug des Kontexts fördert diese Verbundenheit. Wenn bestehende Substanz als Teil der Projektentwicklung verstanden wird, führt dies oft zu einem besonderen Flair eines Areals. Durch eine Weiternutzung kann gleichzeitig Baumaterial und CO2 gespart werden.

Das Schaffen von Schönheit wird belohnt

Die Schönheit, wenn auch schwer messbar und rein subjektiv empfunden, darf als direkter Treiber von Mieterträgen gesehen werden und hat somit einen der direktesten Einflüsse auf die Rendite von Immobilien.

Kostspielige Verzögerungen vermeiden dank der guten Gouvernanz

Die gute Gouvernanz spielt vor allem in der Vorphase einer Immobilie eine Rolle - in dem Moment in dem sie entwickelt wird und die klassischen Entwicklungsphasen der strategischen Planung und Konzeption, Detailplanung und Umsetzung durchlaufen werden. Die effiziente Planung dieser Phasen in frühem und konstantem Dialog mit Ämtern, Nachbarn und sogar der Politik ist für eine erfolgreiche Entwicklung unerlässlich - im heutigen Umfeld mehr denn je. Denn jede Verzögerung in der Realisierung führt unweigerlich zu höheren Finanzierungskosten und Opportunitätskosten in der Vermietung bzw. im Verkauf für den Eigentümer. Schlimmstenfalls muss damit gerechnet werden, dass ein Projekt vollständig scheitert und der Entwicklungsprozess in eine zweite Runde gehen muss.

Der Liegenschaftswert – ein Messwert für Baukultur?

Somit lässt sich die These bestätigen, dass der Wert einer Immobilie von einer umfassenden Betrachtung der Aspekte der hohen Baukultur abhängt und nicht nur Aspekte aus reiner Profitabilitätssicht widerspiegelt.

Marktteilnehmer bewerten Baukultur positiv

Lässt sich Wert der Baukultur auch aus einer Marktsicht betrachten? Ein Marktpreis ist der Preis, den die Marktteilnehmer bereit sind für ein Gut zu bezahlen. Das „Gut“ Baukultur wird so direkt im Markt natürlich nicht gehandelt. Ein Ansatz den Wert eines Gutes zu bestimmen, ohne dass das Gut direkt handelbar ist, kann eine Befragung des Marktes sein. Im Falle von Immobilien sind dies die Teilnehmer des Immobilienmarktes mit Investoren, Entwicklern, Genossenschaften und der öffentlichen Hand.

Bei einer Befragung von rund 30 Entscheidungsträgern hat sich ein sehr positives Bild ergeben: Die Frage, ob der jeweiligen Person Baukultur wichtig ist, wurde eindeutig bejaht. Gleichzeitig fühlten sich 80% der Befragten in ihrer Rolle dazu befähigt, zu hoher Baukultur beizutragen, knapp über 30% haben im Rahmen ihrer Rolle Vorgaben zur Erreichung von Baukultur. Dass hohe Baukultur mit Mehrkosten verbunden ist, darüber war man sich einig; darüber, dass die Mehrwerte die Mehrkosten überwiegen allerdings auch. Was sind die Mehrwerte die mit Baukultur verbunden werden? Poltische Durchsetzbarkeit, Marketing & Branding, die Qualität des Portfolios und die Zufriedenheit der Bewohner erreichten hier die meisten Stimmen. Und schlussendlich die Frage nach dem Wert, bzw. dem Mehrwert: Mehr als 30% der Befragten gaben an, eine erhöhte Zahlungsbereitschaft von bis zu 6% oder sogar mehr zu haben. Dass Objekte, denen keine Baukultur zuzuschreiben ist jedoch zu „Stranded Assets“ werden könnten - daran glauben dann doch die wenigsten.

Zusammenfassend ist also festzuhalten: Aspekte hoher Baukultur äussern sich klar positiv in Immobilienwerten. Befragte Marktteilnehmer weisen nicht nur eine erhöhte Zahlungsbereitschaft für Baukultur auf, sondern denken ausserdem, dass Baukultur in Zukunft noch an Relevanz gewinnen wird.

Michaela Pöschik

Michaela Pöschik *1983, war bis vor kurzem Managerin bei Wüest Partner und mit der Konzeption und Durchführung der Veranstaltungsreihe «Erfolgsfaktor Baukultur» betraut. Wüest Partner ist ein innovatives und unabhängiges Dienstleistungsunternehmen in der Immobilienwirtschaft und schafft durch Expertise, Daten und digitale Lösungen fundierte Entscheidungsgrundlagen. Michaela Pöschik studierte Architektur an der ETH Zürich und hält einen Master in mathematischer Finanzökonomie.

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