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Gelebte Vielfalt in der gestapelten Stadt

Vielfältig, bunt und lebendig: die Vision von WankdorfCity 3 © Rolf Mühlethaler Architekt

12. April 2022
Gabriela Theus | Baukultur persönlich

Gelebte Vielfalt in der gestapelten Stadt

Auf dem Areal Wankdorfcity 3 in Bern soll ein quirliger Quartierteil entstehen. Ist das an diesem unwirtlichen Ort überhaupt möglich? Ja - dank einer neuen Urbanität mit konsequentem Willen zu Dichte und Vielfalt und einer kollaborativen Form der Zusammenarbeit in der Planung und Umsetzung.

‚Will man hier wirklich leben?’ Das fragte ein Journalist der Berner Tageszeitung ‚Der Bund’ nach einem Besuch auf dem Gewerbeareal nördlich der S-Bahn-Station Wankdorf in Bern. Hier will der IMMOFONDS als Bauherrin gemeinsam mit der Burgergemeinde Bern als Baurechtsgeberin und der Stadt Bern Wankdorfcity 3 realisieren. Das Areal liegt zwischen Autobahn und Bahngleisen, die anschliessenden Gebäude der bereits gebauten Quartierteile der WankdorfCity bilden eine Bürolandschaft, die tagsüber einen gewissen futuristisch-kühlen Charme ausstrahlt, spätestens nach Arbeitsschluss aber weitgehend unbelebt ist und trist wirkt.

Gelebte Vielfalt in der gestapelten Stadt

Aus dem Gewerbeareal im Norden von Bern soll ein quirliger Quartierteil werden © IMMOFONDS

Diese Ausgangslage ist für uns bei der Weiterentwicklung des Quartiers Ansporn und Chance zugleich. Wir wollen die Gelegenheit nutzen, einen Quartierteil zu bauen, der lebendig, vielfältig und bunt ist und der ganzen WankdorfCity zu mehr Charakter, Ausstrahlung und Lebendigkeit verhilft.

Auch heute noch werden allzu häufig monofunktionale Quartiere mit monoton-horizontaler Skyline hochgezogen, wobei viele Gebäude wie gläserne oder steinerne Machtdemonstrationen wirken. Dieser städtebaulichen Eintönigkeit setzen wir die Vision einer menschlichen Urbanität entgegen: einer Urbanität, die Resultat von baulicher Dichte und Höhe ist und gleichzeitig Ausdruck einer Vielfalt von Nutzungen, Wohn- und Lebensformen, von Nähe, sozialem Austausch und Nachbarschaft.

Zusammen mit dem Berner Architekten Rolf Mühlethaler und seinem Planungsteam haben wir für Wankdorfcity 3 die Idee einer gestapelten Stadt entwickelt. Bauliche Dichte hat hier nicht bloss die optimale Nutzung des Bodens zum Zweck: Sie will eine dichte Atmosphäre erzeugen und einen bunten Lebensraum schaffen. Auf einem begrenzten Areal (34'000 Quadratmeter) soll auf einer dreimal so grossen Geschossfläche (maximal 113'000 Quadratmeter) all das realisiert werden, was einen urbanen Ort lebenswert macht.

https://www.youtube.com/watch?v=Vth-PYVkZPQ

Aufeinandergetürmte, versetzte und dadurch mehrfach lesbare Häuserblöcke mit einer Höhenstaffelung, die gute Belichtungsverhältnisse schaffen: So wird die gestapelte Stadt aussehen. Doch überraschend und abwechslungsreich soll nicht nur das optische Erlebnis sein, sondern ebenso das soziale. In Wankdorfcity 3 werden sich die Menschen in unterschiedlicher Höhe auf allen Ebenen begegnen und die Nachbarschaft und das Miteinander pflegen: auf Plätzen, Brücken, Terrassen, in lärmgeschützten Höfen und Gemeinschaftsräumen. Auf der geplanten Hofterrasse in 30 Metern Höhe wird die Idee der gestapelten Stadt besonders spürbar sein.

In den unteren Geschossen der Gebäude sind öffentliche Nutzungen (Restaurants, Kulturangebote etc.) sowie Werkstätten und Büros vorgesehen, darüber Wohnungen für unterschiedliche Bedürfnisse und Lebensformen, Gärten, Spielplätze, eine Kindertagesstätte oder auch ein Fitnessstudio. Geplant sind rund 400 Wohnungen und 2000 Arbeitsplätze. Die Dachgärten sollen zum prägenden Element des Quartierbildes werden. Mit ihren genügend grosszügig konzipierten Vegetationsflächen dienen sie gleichzeitig als Wasserspeicher und tragen zur Abkühlung der Dachflächen bei.

Durch die vielfältige horizontale und vertikale Nutzungsdurchmischung entsteht ein urbaner und lebendiger Ort mit verblüffender Vielfalt an unterschiedlichen Menschen und Angeboten. Wichtig ist die sinnvolle Anordnung der verschiedenen Nutzungen: Wohnungen befinden sich an sonnen- und lärmtechnisch sinnvoller Stelle im Süden, Büros auf der lärmzugewandten Seite entlang der Strasse. Das Gewerbe wird um den bestehenden Gewerbehof konzentriert, Gastronomie, Hauseingänge und die Foyers der Büros befinden sich an den Plätzen und Gassen, öffentliche und halböffentliche Nutzungen in der markanten Shedhalle, die erhalten bleibt und das Herz des neuen Quartierteils bilden soll. Zum Miteinander gehört für uns auch der Respekt vor der Geschichte des Areals.

Neben der Balance zwischen und Vielfalt an baulichen Elementen benötigt es ebenso ein vielfältiges Gleichgewicht zwischen verschiedensten Akteurinnen und Akteuren für die Umsetzung dieser nicht alltäglichen städtebaulichen Idee. Entsprechend wurde dem Aspekt der ‚Lernenden Planung’ und einem ‚kollaborativen Werkstattcharakter’ von Beginn an viel Platz eingeräumt und ein fachbereichsübergreifendes, gemeinsames Planen und Bauen gefördert. So wurde bereits nach einer Testplanung mit drei Teams im Rahmen einer ‚Werkstatt des konkreten Städtebaus’ durch ein transdisziplinäres Planungsteam rund um Rolf Mühlethaler Architekten, Bern mit uns als Bauherrin, der Baurechtsgeberin, der Stadt, potenziellen Nutzerinnen und dem Quartier ein städtebauliches Richtprojekt als konkrete Realisierungsabsicht erarbeitet.

Gelebte Vielfalt in der gestapelten Stadt

In Wankdorfcity 3 eröffnet sich aufgrund der gegenüber den ersten beiden Entwicklungsetappen nun mehr differenzierteren Programmierung die Chance einen lebendigen, durchmischten Teil-bereich aufzuspannen, mit positiven Auswirkungen auf die ganze WankdorfCity. Plan Erdgeschoss Richtprojekt © Rolf Mühlethaler Architekt

Das Prinzip der kollaborativen Werkstatt wenden wir auch bei den nächsten Schritten an. Nachdem die Jury im Februar 2022 am Ende eines Projektwettbewerbs nach anerkannten SIA-Verfahrensregeln aus zwölf Architekturteams vier Büros ausgewählt hat, werden diese nun in einer Co-Produktion ein Vorprojekt und anschliessend das Bauprojekt gemeinsam erarbeiten. Ziel des Wettbewerbs war es, die Qualitäten des Anfang 2021 abgeschlossenen städtebaulichen Richtprojekts zu überprüfen und programmatische und exemplarische Gebäude-, Architektur- und Nutzungskonzepte zu entwickeln, welche auf allen Ebenen mithelfen, das Richtprojekt zu bereichern, zu ergänzen und zu verbessern.

Damit sollte einerseits die Weiterführung der ganzheitlichen Betrachtungsweise gesichert und andererseits das Verständnis für das grosse Ganze und die Vielzahl an baurechtlichen, funktionalen und stadträumlichen Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Baubereichen gefördert werden. Die Architekturbüros mussten sich zudem mit dem Gesamtvorhaben Wankdorfcity 3 auseinandersetzen und sich damit identifizieren können. Sie wurden Teil eines zukunftsweisenden Vorhabens und leisten damit einen Beitrag zu dessen Verbesserung und Verwirklichung.

Gelebte Vielfalt in der gestapelten Stadt

Wettbewerbs-Projekt ‚Amélie et Monsieur Hulot’ © Bauart Architekten und Planer AG

Gelebte Vielfalt in der gestapelten Stadt

Wettbewerbs-Projekt ‚This the next to that’ © E2A Piet Eckert und Wim Eckert Architekten

Gelebte Vielfalt in der gestapelten Stadt

Wettbewerbs-Projekt ‚Segantini’ © Meili, Peter & Partner Architekten

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Wettbewerbs-Projekt ‚Collegato’ © Bob Gysin Partner Architekten

Aktuell arbeiten die vier Büros in der Werkstatt Wankdorfcity 3 zusammen mit Architekt Rolf Mühlethaler, Landschaftsarchitekt Maurus Schifferli, der S+B Baumanagement AG als Generalplanerin, der HRS Real Estate AG als Realisierungspartnerin und weiteren Akteur*innen.

Gelebte Vielfalt in der gestapelten Stadt

In der kollaborativen Werkstatt wird derzeit ein Vorprojekt und anschliessend das Bauprojekt gemeinsam erarbeitet © IMMOFONDS

Wie in den vorangegangenen Phasen wird ein Begleitgremium mit externen Fachleuten und Vertreterinnen und Vertretern von Stadt und Burgergemeinde sowie des Quartiers zur Werkstatt gehören. So wird sichergestellt, dass Planende, Unternehmer, Vermarkter, potenzielle Nutzer*innen sowie die Stadt und das Quartier direkt in den Prozess einbezogen werden, und Planung und Ausführung nicht wie in der traditionellen Arbeitsweise sequenziell, sondern weiterhin eng aufeinander abgestimmt und gleichzeitig gedacht werden.

Ausgehend vom bestehenden Richtprojekt geht es nun darum, gemeinsam die verschiedenen exemplarischen Gebäude-, Architektur- und Nutzungskonzeptionen wieder zu einem Ganzen zusammenzuführen; die Bauvolumen (inkl. Stapelung und Flächen) abschliessend zu definieren, den vorgesehenen Nutzungsmix zu konkretisieren und genau zu verorten, die Gestaltungsideen zu schärfen sowie die wirtschaftliche Tragbarkeit zu vertiefen. Damit soll eine belastbare Grundlage für die anschliessende Detailprojektierung geschaffen werden.

Gelebte Vielfalt in der gestapelten Stadt

In verschiedenen Werkstätten werden die unterschiedlichen Akteure zusammengebracht © IMMOFONDS

Ich bin überzeugt: Wankdorfcity 3 hat das Potenzial zum Leuchtturm, der städtebaulich, architektonisch und gesellschaftlich weit über die Region hinaus strahlt und der Stadt Bern im Norden ein neues Gesicht geben wird. Dank konsequentem Willen zu Dichte, Vielfalt und Dialog und damit zu einer neuen Berner Urbanität.

www.wankdorfcity3.ch

Gabriela Theus

Gabriela Theus *1973 in Luzern, ist Geschäftsführerin der Immofonds Asset Management AG. Sie studierte Betriebswissenschaften an der Universität St. Gallen und ist seit mehr als 20 Jahren im Immobiliengeschäft tätig. Sie ist Mitglied der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) und Beirätin der Stiftung Baukultur Schweiz.

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