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How will we live together?

Piazza San Marco © Aita Flury

10. Juni 2021
Aita Flury | Baukultur persönlich

How will we live together?

Impressionen von der Ende Mai eröffneten Architekturbiennale in Venedig, einer Stadt, in welcher läuternde Nebenwirkungen der Pandemie noch immer präsent sind.

Die Reise nach Venedig Ende Mai dieses Jahres hat sich gelohnt: Die räumliche Kraft der entvölkerten Piazza San Marco, menschenleerer Campis, Wasser- und Strassenräume, ein am helllichten Tag schlafendes, stillschweigendes Venedig in einem milden Frühsommer: wer hätte vor etwas mehr als 1 Jahr eine solche Vorstellung nicht als utopisch abgetan. Auf nicht vorhersehbare Weise, durch die massiven globalen Auswirkungen der Pandemie, ist dieser Zustand - mindestens für kurze Zeit - Realität geworden. Diese tiefberührenden, an die menschliche Seele adressierten Stadträume einmal in Form einer „Privatvorstellung“ in uneingeschränkter Bewegung und mit maximaler Sicht erfahren zu dürfen, ist ein einmaliges Privileg, das den eigentlichen Grund des Besuchs, die Architekturbiennale, beinahe in den Hintergrund verdrängt hat. Die leeren, ihren Darstellern beraubten, öffentlich-szenischen Räume Venedigs stehen fast schon in paradigmatischem Kontrast zum Thema der von Hashim Sarkis kuratierten Biennale „How will we live together?“: Wie kann das Zusammenleben auf der Erde bei steigender Bevölkerung, schwindenden Ressourcen und dramatischen klimatischen Veränderungen aussehen? Vor allem aber, welchen Beitrag kann die Architektur in Bezug auf unseren Lebensraum leisten?

How will we live together?

Canale bei San Marco, Venedig © Aita Flury

How will we live together?

Campo in Castello © Aita Flury

Die Architektur alleine kann die Welt sicher nicht retten, sie kann sie aber für den Menschen lebenswert machen, indem menschengerechte Räume jeglichen Massstabs entworfen werden. Dazu sind ein tiefes, elementares Raumwissen, kulturgeschichtliche Sensibilität und Expertentum in Bezug auf die anzuwendenden, architektonischen Mittel notwendig. Nur unter diesen Voraussetzungen wird es möglich heute anstehende ökologisch-klimatische und demografische Herausforderungen in sinnhafte und sinnliche Räume zu übersetzen. Ganz in diesem Sinne der Hinweis auf zwei gezeigte Arbeiten, die sich dem Thema sehr unterschiedlich nähern, die aber beide berühren, da sie aus einem sensitiv-sinnlichen, räumlichen Denken heraus entwickelt worden sind.

Der Dänische Pavillon setzt sich mit dem Thema des Zusammenlebens unter dem Motto „con-nect-ed-ness“ auseinander: Die Welt als dynamischer Kreislauf, in welchem alle Menschen und Lebewesen überall und kontinuierlich involviert sind. Diese Vorstellung wird über ein Kreislaufsystem von Wasser visualisiert, das in Venedig gesammelt wird und als Wasser-Installation in den Pavillon eindringt und sich so mit diesem aufs engste verklammert. Das Wasser in seinen verschiedenen Aggregatszuständen und Atmosphären wirkt direkt auf den Besucher ein - durch die sinnliche Wahrnehmung der Verbundenheit von Mensch/Architektur/Natur wird sich die Fähigkeit erhöhen gegenseitige Beziehungen zu stärken, schreiben die Kuratoren. Ganz in diesem Sinne werden die Besucher im Pavillon mit frischen Kräutertees und Wasser verwöhnt - eine schenkende Geste, welche die versöhnungsvolle Atmosphäre noch bestärkt.

How will we live together?

"Connectedness" © Hampus Berndtson

How will we live together?

"Connectedness" © Hampus Berndtson

How will we live together?

"Connectedness" © Hampus Berndtson

Für die Kuratoren des Belgischen Pavillons ist die Ausgangsfrage der Biennale eine klar architektonische Aufgabe: Ein Vorschlag fürs Leben zeige sich in den Torbogen, den Balkonen, den Befensterungen, der Taktilität der Fassaden und in der Vorstellung von öffentlichem Raum, der durch die Häuser gebildet wird. Die Ausstellung besteht aus einer Modell-Landschaft, welche die Spannung zwischen Stadt und Architektur in Flandern repräsentiert. Ein Stück imaginäre, städtische Landschaft im Mst. 1:15, die aus 50 zeitgenössischen Projekten von 46 Architekturbüros collagiert worden ist. Der Titel „Composite Presence“ steht für die lange Tradition des Zusammenbringens existierender und nicht realisierter Projekte in eine neue Konstellation, um zu zeigen wie die Stadt durch grosse städtische Figuren und architektonische Ensembles geformt wird: die Komposition der Modelle suggeriert, dass die individuellen Projekte stets Teil eines städtischen Organismus sind. Ihre strikte Materialkontrolle bildet zudem Handwerklichkeit ab und - trotz Gleichschaltung und damit Löschung der Autorschaft - sind die Modelle voller expressiver Subjektivität, voller Charakter.

How will we live together?

"Composite Presence" © BovenbouwArchitectuur

How will we live together?

"Composite Presence" © BovenbouwArchitectuur

How will we live together?

"Composite Presence" © Aita Flury

Aita Flury

Aita Flury *1969 in Chur, studierte Architektur an der ETH Zürich. Seit 2005 eigenes Architekturbüro in Zürich. Neben der praktischen Arbeit verschiedene Lehrtätigkeiten (HTW Chur/KIT Karlsruhe), zahlreiche Publikationen zu architektonischen Themen und Kuratorium der Ausstellung „Dialog der Konstrukteure“. Seit 2021 Mandat als fachliche Co-Leitung bei der SBS. www.aitaflury.ch

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