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Pavillon Le Corbusier

Pavillon Le Corbusier, 2019, Zürich © ZHdK

25. Mai 2023
Simon Marius Zehnder | Baukultur persönlich

Pavillon Le Corbusier

Die Faszination für die Wechselwirkung zwischen Fabrikation und Kunst, das Experimentieren mit modularen Bausystemen, die Möglichkeiten der industriellen Produktion, ökonomisch optimierte Bautypen, Vorfabrikation. Sämtliche Theorien Le Corbusiers fliessen in seinem letzten verwirklichten Gebäude als Gesamtkunstwerk im Zürcher Seefeld zusammen und sind für die Öffentlichkeit zugänglich.

Die Eröffnung seines letzten Bauwerks erlebte Charles-Eduard Jeanneret-Gris, wie Le Corbusier mit bürgerlichem Namen hiess, leider knapp nicht mehr. Der Meister erlag 1965 im Alter von 77 Jahren einem Herzversagen beim Schwimmen vor der Küste von Roquebrunne in Frankreich. Der Ausstellungspavillon im Zürcher Seefeld wurde am 15. Juli 1967 eröffnet. Das Gebäude steht als Resultat langjähriger und vorbereitender Entwicklung. Wenn auch chronologisch peripher, so ist der Bau ein zentrales, wenn nicht gar das zentrale Werk im Schaffen Le Corbusiers. Aufwändig und pragmatisch war die Planungsgeschichte des auf Initiative der Galeristin Heidi Weber errichteten idealen Ausstellungspavillons. Fragil, wenn auch gut gealtert, zeigt sich heute der sanierte Pavillon am Stadtzürcher Seebecken. Er steht als Prototyp des ehrgeizigen Vorfabrikationssystems Le Corbusiers, der Pavillon stellt ein Schlüsselwerk dieser fortlaufenden Recherche dar. Die äussere Erscheinung zeigt ein aus Kuben aufgebautes Pavillongebäude, überspannt von einem immensen Dach. Unterteilt in zwei Schirme, die konkav sowie konvex ausgebildet sind, bietet das Dach Schutz vor Witterungseinflüssen. Le Corbusier nannte das Prinzip dieser doppelten und umgekehrten Anwendung der Schirmdächer «Parapluie-Parasol», Regen- und Sonnenschirm. Dazwischen entsteht mit grosser Selbstverständlichkeit das begehbare Dach.

Pavillon Le Corbusier

Dachterrasse, Pavillon Le Corbusier, 2019, Zürich © ZHdK

Die modulartigen Einheiten des Pavillons werden nach aussen hin von Elementen aus Glas sowie mittels farbig emaillierten Metallplatten abgeschlossen. Eine geometrische Demonstration, gänzlich abweichend von den Bauten, welche üblicherweise für das Spätwerk Le Corbusiers stehen. Der Ausstellungsbau, Treiber innerhalb der modernen Architektur, galt als bedeutendes Thema im Werk Le Corbusiers. Hier konnte er experimentieren als auch vermitteln. Ein begehbares Labor, welches die Synthese industrieller Gesetzmässigkeiten und künstlerischen Schaffens verkörpert. Wie bereits 1925 beim Ausstellungspavillon «L’Esprit nouveau» in Paris finden sich im Zürcher Pavillon Themen wie der zweigeschossige Atelierbereich, Vorfabrikation, Rationalisierung bei gleichzeitiger Erhaltung von Individualität in Ausdruck und Gestaltung wieder. Der Rückgriff auf ein bereits früher entwickeltes Konzept, eine Arbeitsweise, die Le Corbusier vertraut war. Das Konzept lässt sich auf den Ort sowie auf das Programm massschneidern.

Das Gebäude funktioniert als autonome Einheit unter dem monumentalen Dach. In einer frühen Fassung besteht das Raumprogramm aus einem Wohnbereich im Ost- und einem Atelier im Westtrakt, ergänzt durch die für einen Ausstellungspavillon notwendigen Räume. Die Zeichnungen zeigen einen Massivbau in Beton, jedoch nicht ohne Notiz Le Corbusiers, dass es sich um den ersten Entwurf handle und möglicherweise noch Änderungen folgen werden. Änderungen kamen, und zwar aus einem wenige Jahre vorab entwickelten und unverwirklichten Projekt Le Corbusiers. Das Ausstellungsgebäude für den bedeutenden schwedischen Sammler moderner Kunst, Theodor Ahrenberg, am Quai vor dem Stockholmer Rathaus. Das Raumprogramm in Stockholm war auf vier Räume aufgeteilt: einen Saal für Matisse, einen für Picasso, einen für Le Corbusier und einen für Wechselausstellungen. Die Fassadengestaltung sah Felder von 113 x 226 Zentimeter vor, die jeweils paarweise als Quadrat eine Komposition aus farbig emaillierten Paneelen bildeten. Dies im Wechsel mit ebenfalls quadratischen Elementen aus Glas, zur Versorgung der Ausstellungsräume mit Tageslicht. Dieses parallele Entwickeln und Kombinieren von Projekten, ob gebaut oder gedacht, ist Le Corbusiers Werk eingeschrieben. Das Vorprojekt für das «Palais Ahrenberg» wird zu einer Etappe in der Entwicklung des Projekts am Zürichhorn. Das System des modulartigen Aufbaus mit Elementen aus Falzblech, welche als Träger sowie auch als Stützen eingesetzt werden, hat Le Corbusier unter dem Namen «System 226 x 226 x 226» im Jahr 1953 patentiert. Das Aneinanderreihen und Auftürmen von Würfeln mit identischer Seitenlänge wird um Querverstrebungen und Windverbände zur Aussteifung der Gesamtkonstruktion ergänzt. Le Corbusiers eigenem Proportionssystem, dem Modulor folgend, basiert der Pavillon am Zürichhorn auf dem Verbund metallener Winkelprofile von jeweils 226 Zentimetern Länge. Dieses Mass stellt eine Person von 183 Zentimetern Körpergrösse mit angewinkeltem Arm nach oben dar, ein Ansatz Le Corbusiers, der Architektur eine am Mass des Menschen orientierte, mathematische Ordnung zu verleihen.

Pavillon Le Corbusier

Treppenteil, Pavillon Le Corbusier, 2019, Zürich © ZHdK

Beim Pavillon am Zürichhorn fliessen sämtliche Theorien im letzten verwirklichten Werk Le Corbusiers zusammen. Er selbst hat das Vorhaben als das Kühnste seiner gebauten Projekte betitelt. Das Verweilen im Pavillon, die Auseinandersetzung mit Raum, Licht, Reflektion, Material und Farbe schafft ein persönliches Verständnis der Intuition Le Corbusiers. Das Nachdenken über die Statik und den historischen Bauprozess fasziniert. Wie stark war Le Corbusier seiner Zeit voraus, wie gegenwärtig funktioniert sein Bauwerk.

Der Pavillon wurde auf öffentlichem Grund errichtet. Die Stadt Zürich trat dazu das Land für 50 Jahre im Baurecht an die Bauherrin und Initiantin des Projekts Heidi Weber ab. Im Jahr 2014 ging mit dem Rückfall auch das Gebäude in den Besitz der Stadt Zürich über. Nach zweijähriger Sanierungsarbeit konnte der Pavillon im Mai 2019 die Wiedereröffnung feiern. Als öffentliches Museum wird das Gebäude durch das Museum für Gestaltung Zürich betrieben. Dabei gilt das Bauwerk selbst als Hauptexponat. Darüber hinaus schafft das Museum auf verschiedenen Ebenen Anreize zum wiederkehrenden Besuch. Ein reichhaltiges Programm an Vermittlungsangeboten adressiert Besucher:innen jeden Alters. Ausgedehnte museale Öffnungszeiten mit der Option öffentlicher als auch privater Führungen schaffen Zugänglichkeit. Anlässe wie die «Lange Nacht der Zürcher Museen», Ausstellungsgespräche und musikalische Performances öffnen das Haus einem breiten Publikum, weit über etwaige Fachkreise hinaus. Die prominente Lage an der Zürcher Uferpromenade macht den Pavillon attraktiv, lässt in Verbindung mit den angrenzenden, kulturell genutzten Häusern ein kleines, gepflegtes Museumsquartier entstehen. Da der Pavillon in den oberen Etagen nicht beheizt werden kann, dauert die Saison jeweils von Anfang Mai bis Ende November. In den kalten Monaten bleibt der Pavillon geschlossen. Diese Zeit verstreicht jedoch nicht ungenutzt, es ist die Zeit des Rück- sowie Neubaus der jeweiligen Jahresausstellungen.

Pavillon Le Corbusier

Erdgeschoss, Pavillon Le Corbusier, 2019, Zürich © ZHdK

In der Ausstellung «Architekturikonen neu gesehen» der Saison 2022 haben wir zeitgenössische fotografische Arbeiten zu ikonischen Werken Le Corbusiers gezeigt. Dazu konnten sieben Fotografinnen und Fotografen je ein gebautes und heute öffentlich zugängliches Werk Le Corbusiers besuchen, und davon ein subjektives Fotoporträt erstellen.

Mit den gesammelten Arbeiten konnten wir den Pavillon über die Räumlichkeiten in Zürich hinaus zu weiteren bedeutenden Arbeiten Le Corbusiers öffnen und den Anreiz einer Reise durch die Schweiz und Frankreich entlang realisierter und öffentlich zugänglicher Arbeiten des Jahrhundertarchitekten schaffen:: Architekturikonen neu gesehen

In der aktuellen Ausstellung «Der Modulor – Mass und Proportion», die noch bis Ende November 2023 läuft, zeigen wir die Herkunft, Bedeutung als auch Anwendung des Proportionssystems Le Corbusiers: Der Modulor – Mass und Proportion

Simon Marius Zehnder

Simon Marius Zehnder *1983, leitet im Auftrag des Museum für Gestaltung Zürich den Pavillon Le Corbusier. Daneben führt er gemeinsam mit Selina Puorger und Daniel Sommer das Kreativstudio Atelier Gut (www.ateliergut.ch).

Nebst der Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros und Agenturen erarbeitete er freie Projekte wie die Kunst am Bau Fassadengestaltung der Sportanlage Buchlern in Zürich mit Valentin Hauri, einen Beitrag zur Werkschau Architektur Schweiz sowie gemeinsame Wettbewerbsbeiträge in Architektur mit Sara Wiedenbeck.

Simon Marius Zehnder schloss sein Architekturstudium mit dem Master an der ETH Zürich ab und studierte im Nachdiplom CAS Curating an der ZHdK.

Simon Marius Zehnder
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