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Retten, was noch zu retten ist, um lebendige Dörfer zu erhalten

Zweitwohnsitz im Unterengadin © Anna Florin

17. Mai 2022
Anna Florin | Baukultur persönlich

Retten, was noch zu retten ist, um lebendige Dörfer zu erhalten

Anna Florin ist eine politische Bewegung, die im Unterengadin das zu retten versucht, was für eine Dorfgemeinschaft vital ist.

Wer hinschaut, sieht es im ganzen Unterengadin. Der Druck des Immobilienmarkts ist so stark, dass schon die Mehrheit der historischen Engadinerhäuser an zahlungskräftige Eigentümer*innen verkauft wurde, die sie zu luxuriösen und häufig leerstehenden Ferienhäuser umnutzen. Die Preise für den Kauf und die Miete von Erstwohnungen steigen stetig. Bauland an den Dorfrändern gibt es keines mehr. Das Leben in den Dörfern des Unterengadins schwindet, droht ganz zu verschwinden. Und mit dem Leben in den Dörfern verschwindet auch die lokale Sprache und Kultur.

Retten, was noch zu retten ist, um lebendige Dörfer zu erhalten

Geschlossene Fensterläden im Unterengadin © Anna Florin

Angekurbelt wurde der Druck des Immobilienmarkts durch zwei neue Gesetze, welche seit wenigen Jahren in Kraft sind: einerseits das Zweitwohnungsgesetz (seit 2015) und anderseits die Revision des Raumplanungsgesetzes (2020/21). Mit der Annahme dieser beiden Gesetze wurde entschieden, den Landschaften Sorge zu tragen und die Gemeinden baulich hauptsächlich innerhalb der bestehenden Bausubstanz weiter zu entwickeln und nicht auf der grünen Wiese. Das ist ganz im Sinn von Anna Florin. Doch weder das eidgenössische Zweitwohnungsgesetz noch die kommunale Gesetzgebung sehen griffige Massnahmen vor, um Erstwohnungen zu schützen. So bleiben alle vor dem 11. März 2012 gebauten Wohnungen und Häuser, welche im Grundbuch nicht als Erstwohnungen eingetragen sind, dem Druck des Zweitwohnungsbaus (oder -Umbaus) ausgesetzt. In der fusionierten Gemeinde Scuol zum Beispiel sind das über 90% aller bestehender Häuser!

Retten, was noch zu retten ist, um lebendige Dörfer zu erhalten

Umbau eines historischen Engadinerhauses mitsamt dem ehemaligen Heustall zu einem Zweitwohnsitz im Unterengadin © Anna Florin

Durch die Revision des Raumplanungsgesetztes fällt Bauland für die lokale Bevölkerung am Dorfrand weg. Vielen bleibt nur der Wegzug. Zudem gibt keinen bezahlbaren Erstwohnraum für Rückkehrer*innen oder für Neuzüzgler*innen mit einem durchschnittlichen Einkommen.

Anna Florin hilft mit kreative Lösungen zu finden, um die letzten Häuser im Unterengadin dem Zweitwohnungsmarkt zu entziehen. Der Verein setzt sich dafür ein, dass die Preise für Erstwohnraum verbilligt werden, damit sie auch für die lokale Bevölkerung wieder bezahlbar sind.

Mit dem Einsatz und dem Engagement der Mitglieder - Einheimische und Auswärtige - ermutigt der Verein die politischen Gemeinden, deren Einwohner*innen und die Eigentümer*innen von Zweitwohnungen dazu, dem Wohnungsmarkt und den öffentlichen Treffpunkten langfristig Sorge zu tragen. Bestehende Räume für die Dorfgemeinschaften sollen bewahrt und neue gefördert werden. Je weniger Bewohner*innen ein Dorf hat, desto schwieriger ist es die Dorfläden, Geschäfte, Restaurants, kleinen Hotels, Kinos oder die soziale Infrastruktur wie Kinderkrippen, Schulen, Mehrzweckhallen zu erhalten.

Es kann nicht sein, dass über die Hälfte aller Häuser der Unterengadiner Fraktionen nicht Ortsansässigen gehören, die sich weder für die Infrastruktur engagieren noch Teil des täglichen Lebens in der Gemeinde sind. Es gilt wieder ein Gleichgewicht zwischen Erst- und Zweitwohnraum herzustellen, der Immobilienspekulation ist entgegenzutreten. Anna Florin ist überzeugt, dass sich die Gemeinden in erster Linie für die lokale Bevölkerung einsetzen müssen und die Dörfer in erster Linie attraktive Wohnorte sein müssen. Deshalb strebt Anna Florin kommunale Gesetzesänderungen an, welche den lokalen Immobilienmarkt schützen, aber zum Beispiel auch die Sanierung von kleinen Hotels fördern, damit es keine Verluste im Baugewerbe gibt. Nur in einer lebendigen Region hat das lokale Gewerbe auch in Zukunft Arbeit. Wenn nicht sofort mit wirksamen Massnahmen reagiert wird besteht die Gefahr, dass die Dörfer zu Ferienressorts oder gar zu Museen werden - schön anzuschauen, aber ohne Leben.

Retten, was noch zu retten ist, um lebendige Dörfer zu erhalten

Dagegen könnte eine Leerstandsteuer helfen © Anna Florin

Anna Florin

Anna Florin ist eine politische Bewegung, welche die Dorfbewohner*innen im Unterengadin ermutigt dem Druck des Immobilienmarkts entgegen zu wirken und sich nachhaltig für die Lebensqualität und Freude im Dorf einzubringen. Der Verein ‚Anna Florin - für blühende Dörfer’ - mit Sitz in Tarasp, wurde im Herbst 2021 von einigen Engadiner*innen der jüngeren Generation gegründet. Dem Vorstand gehören Flurina Badel aus Guarda, Gregory Fretz aus Sent und Riet Fanzun aus Tarasp an. www.annaflorin.ch

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