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Urbanität, Geld und Schönheit

Idaplatz Zürich © Aita Flury

30. Juni 2021
Vittorio Magnago Lampugnani | Baukultur persönlich

Urbanität, Geld und Schönheit

Alle rufen heute nach Urbanität. Was verstehen Sie darunter?

Städte sind entstanden, damit Menschen möglichst gut, produktiv und angenehm zusammenleben. In der Stadt wollen wir uns mit anderen Menschen austauschen, von ihnen profitieren, uns an ihnen erfreuen, mit ihnen eine Gemeinschaft bilden. Vielleicht sogar, wie es der Philosoph David Hume 1752 formuliert hat, unseren Charakter und unser Verhalten verfeinern. Wenn wir all das tun, entsteht Urbanität.

Wie erreichen wir es, dass Urbanität entsteht?

Urbanität stellt sich ein, wenn wir die richtigen Voraussetzungen schaffen. Zum Beispiel: wenn wir keine monofunktionalen Schlafstädte bauen, sondern durchmischte Ensembles. Keine gesichtslosen, eintönig aneinandergereihten Wohnzeilen, sondern schöne Häuser, die so zueinander stehen, dass sie brauchbare Räume schaffen. Keine Siedlungen, sondern Stadtquartiere.

Urbanität, Geld und Schönheit

Arkade Stadtquartier Richti Wallisellen, Baukontor Architekten © Maximilian Meisse

Urbanität, Geld und Schönheit

Wohnhof Mehrfamilienhäuser Bülachguss Bülach, Baukontor Architekten © Maximilian Meisse

Das klingt alles plausibel, geradezu selbstverständlich. Warum geschieht es nicht?

Die Bauvorschriften, mit denen wir es zu tun haben, stammen aus der Zeit des uneingeschränkten Wachstums und sind in vielerlei Hinsicht überholt. Denken Sie nur an die Lärmschutzverordnung, die für Stadtwohnungen Standards festsetzt, die auf dem Land angemessen sind. Sie zwingen dazu, die Wohnungen von der Straße abzuwenden, was jeder urbaner Architektur widerspricht. Auch beim Umbau und der Umnutzung von bestehenden Häusern, mittlerweile eine unserer zentralen Aufgaben, sind wir baugesetzlich hilflos. Hinzu kommt, dass die kooperativen und partizipativen Verfahren, die man heute gern städtebaulichen Planungen zugrunde legt, leicht zu verwässerten Lösungen führen. Wie gute Architektur, braucht auch guter Städtebau eine Persönlichkeit, die mit ihrem Können, ihrer Fachkompetenz, aber auch mit ihrer Leidenschaft hinter dem Projekt steht.

Sind nicht die Investoren und ihr Profitstreben das größte Hindernis einer hohen Baukultur?

Nein; lange galten kurze Abschreibungszeiten und entsprechend billige Gebäude mit schnellem Verfallsdatum als gutes Geschäft. Inzwischen setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass dauerhafte Häuser mehr Vorteile bieten, vor allem als langfristige Investition. Sie sind unkompliziert und wirtschaftlich zu unterhalten. Sie sind bei den Bewohnern beliebt und fördern stabile Mietverhältnisse. Sie sind im besten Sinn nachhaltig, weil sie den Verbrauch an grauer Energie reduzieren. Und im Gegensatz zur spekulativen Wegwerfarchitektur eignen sie sich als Bausteine einer Stadt, die Bestand hat und deswegen Identität schaffen kann.

Urbanität, Geld und Schönheit

Wohnhof Mehrfamilienhäuser Bülachguss Bülach, Baukontor Architekten © Maximilian Meisse

Urbanität, Geld und Schönheit

Regelgeschoss Mehrfamilienhäuser Bülachguss Bülach © Baukontor Architekten

Setzt Baukultur auch Schönheit voraus?

Ich bin ja schon zufrieden, wenn die neuen Häuser in unseren Städten Anstand haben. Das ist bereits nicht einfach und selten genug. Und in meinen Augen durchaus Baukultur. Schönheit war und ist wenigen Bauten vorbehalten. Doch wir brauchen sie und die Emotionen, die sie hervorruft. Sie berührt und beglückt und bereichert uns. Wir leisten uns die Poesie in der Literatur, im Theater, in der bildenden Kunst. In der Architektur und in der Stadt, den Bereichen der Kultur, die am meisten unser Alltagsleben prägen, sollte sie uns umso mehr am Herzen liegen.

Urbanität, Geld und Schönheit

Bertastrasse Zürich © Aita Flury

Urbanität, Geld und Schönheit

Bullingerplatz Zürich © Aita Flury

Vittorio Magnago Lampugnani

Vittorio Magnago Lampugnani *1951 in Rom, studierte an der Sapienza und an der Universität Stuttgart Architektur. In den achtziger Jahren gestaltete er die Internationale Bauausstellung Berlin maßgeblich mit. Später gab er in Mailand die Zeitschrift Domus heraus und war Direktor des Deutschen Architektur-Museums in Frankfurt am Main. Von 1994 bis 2016 hatte er den Lehrstuhl für Geschichte des Städtebaus an der ETH in Zürich inne. Seit 1981 führt er das Studio di Architettura in Mailand, seit 2010 mit einem Partner das Büro Baukontor Architekten in Zürich. Daneben lehrt er in Harvard und schreibt für die Neue Zürcher Zeitung.

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