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Baukultur und die HafenCity

Die HafenCity Hamburg nach ca. 20 Jahren Bauzeit © Fotofritz

10. November 2021
Kees Christiaanse | Feuilleton

Baukultur und die HafenCity

Baukultur ist eine akzeptierte Form von Plagiat. Sie entsteht durch den lokalen Stand der Bautechnik, die das Ergebnis kumulativer Erkenntnisse der Technik ist. Weiter durch kulturelle und ökonomische Konjunkturen, die auch Bauordnungen informieren. Und damit verbunden, die Mode, die zur freiwilligen Gleichschaltung führt, die man Strömung, Schule oder eben Baukultur nennt.

Das Hamburger Bauforum

Der Hamburger Baudirektor hat formell wenig Macht. In der Praxis kann er aber Bauprojekte weitgehend steuern, was die Baukultur positiv prägt. 1984 initiierte Baudirektor Kossak das Format des ‚Bauforums’, eine Reihe von Workshops von lokalen und internationalen Architekten mit Vorträgen, die sich alle paar Jahre aktuellen Themen der Stadt und Stadtentwicklung widmen. Die Bauforen hatten Themen wie etwa 1985 ‚Die Perlenkette’ an der Elbe (wo unser mit dem Hamburger Architekturpreis dotiertes Holzhafenprojekt steht), 1989 ‚HafenCity’ und 2019 ‚Magistralen’. Ob HafenCity, IBA Hamburg oder ‚Perlenkette’: diesen Projekten ist ein ihnen vorausgehendes ‚Bauforum’ gemein.

Meine Geschichte mit HafenCity begann 1989 in eben diesem Bauforum, das die HafenCity thematisierte. Nach OMA war dies mein erster Akt als KCAP. Kossak schenkte uns einen Walfänger, weil unser Projekt ‚die meisten Investoren fangen würde’. Am klimagerechtesten war aber Cedric Price’s Idee das Areal zu einem ‚Ducklands’ zu ‚verwatten’. Wir ahnten damals nicht, dass wir 10 Jahre später in Zusammenarbeit mit ASTOC Architects and Planners den Wettbewerb für HafenCity gewinnen würden. Heute ist HafenCity fast fertig gebaut und gehört zu den international erfolgreichsten Wasserfrontprojekten.

Baukultur und die HafenCity

Wettbewerbsentwurf für den Masterplan der HafenCity von 1999 © KCAP/ASTOC

Der Masterplan

Das Masterplankonzept von 1999 war ein visionärer Text und enthielt die DNA für die Entwicklung:

- metropolitane Mischung: Wohnen, Kultur, Freizeit, Tourismus, die die Innenstadt erweitern
- neuer Teil der Innenstadt
- maritimes Milieu
- urbanes Wohnen, die Wiederbelebung der City
- enge Anbindungen mit umliegenden Quartieren
- hochwertige öffentliche Räume, vielfältige Architektur
- Flexibilität

Die Vision wurde übersetzt in:

- eine robuste Raumstruktur, basierend auf den Hafenbecken, ergänzt mit einem feinmaschigen Strassenmuster
- Verbindungen mit der Umgebung
- eine Unterteilung in charakteristische Quartiere
- architektonische Wahrzeichen auf den Höften
- eine flexible Blocktypologie

Die Blocktypologie verdankt ihren Erfolg ihrer Wandlungsfähigkeit in U-förmige, halboffene oder solitäre Varianten, welche tektonische und programmatische Vielfalt mit städtebaulicher Kohärenz verbinden.

Baukultur und die HafenCity

Katalog von Typologien für die einzelnen Bereiche, die mit offenen Blockstrukturen operieren. Wichtiges Planungsziel war, die Quartiere in ihren Nord-Südachsen so offen und durchlässig wie möglich zu halten © KCAP/ASTOC

Eine Erfindung war der Warft-Kai Schnitt: Die 3.5m hohe Flutsicherungs-Warft wurde einige Meter von der Kaikante zurückgelegt, was eine Promenade auf Kainiveau erlaubte. Dies machte eine Vielfalt an Übergängen möglich, wie die Marco Polo Terrassen, während der Warftkörper Garagen und Gastronomie enthielt. Die Kais und ihre geschichtlichen Spuren wurden unter den Brücken durchgeführt.

Urbanität in der HafenCity

Von Anfang an setzte die HafenCity auf Urbanität, inspiriert von Jane Jakobs: Urbanität ist eine Situation, die eine hohe Dichte an Menschen mit vielfältigem Hintergrund anzieht, was einen produktiven Austausch und das Entstehen neuer sozialer Netzwerke aus bestehenden heraus erzeugt. Sie fördert Toleranz und Synergie, Wohlstand und Innovation, sowie Nachhaltigkeit. Früher war Urbanität mit Zentralität und Präsenz verbunden, heute wirkt sie durch die Digitalisierung über grosse Distanzen, und schöpft neue Kategorien, wie etwa produzierendes Gewerbe. Urbanität wird nicht entworfen. Man kann sie ‚konditionieren’. Sie ist nie flächendeckend, sondern entwickelt sich in Konzentrationen mit lokaler Auswirkung.

Transformation und Zentralität

Ein Grossprojekt wird nie so gebaut wie es konzipiert war, sondern entwickelt sich stets unter dem Einfluss neuer Erkenntnisse weiter. Bei der Revision des Masterplans 2010 wurde die östliche HafenCity verdichtet, wobei die Fläche von 1.5 Mio m2 auf 2.5 Mio m2 wuchs. Die U-Bahn und der Bahnhof Elbbrücken wurden gebaut und die HafenCity bekam eine adäquate Erschliessung. Die Elbbrücken wurden zur zukünftigen Zentralität, essentiell für den Sprung über die Elbe. Das neue Gelenk bei den Elbbrücken aktualisiert die Zentralitäts-Debatte des zukünftigen Hamburgs, wenn die HafenCity von der Stadterweiterung zur Stadtmitte wird. Die HafenCity wird sowohl Teil des Stadtzentrums sein mit eigener Zentralität und charakteristischen Quartieren sowie gleichzeitig Teil eines urbanen Archipels in der Hafenlandschaft sein.

Baukultur und die HafenCity

Masterplan 2000 © KCAP/ASTOC

Baukultur und die HafenCity

Masterplanüberarbeitung 2010 © KCAP/ASTOC

Baukultur und die HafenCity

ÖPNV-Erschliessungskonzept © HafenCity

Innovativer Entwicklungsprozess

Die HafenCity Hamburg GmbH als Entwicklungsgesellschaft wurde zurecht mit neuen Aufgaben als Entwicklungsgesellschaft für urbane Projekte belohnt. Zu den vielen Innovationen, wie das HafenCity Umweltzeichen (wegweisend für die deutschen Nachhaltigkeitsregeln), die Förderung von Baugruppen und das Mobilitätskonzept, gehört die ‚Anhandgabe’, dass der Kauf eines Grundstückes erst abgeschlossen wird, wenn alle Qualitätskriterien erfüllt sind. In einer auf diese Art integrierten Stadtentwicklung wird Qualität wichtiger als Marktwirkung.

Ein Wolf im Schafspelz und ein Schaf im Wolfspelz

Das Überseequartier - ein Grossprojekt innerhalb eines Grossprojekts - war mit grossen Risiken von Konjunkturschwankungen verbunden. Im Ur-Masterplan war der Magdeburger Hafen eine zentrale ‚Gracht’ in der Achse zur Innenstadt, flankiert von Einzelhandel und Gastronomie. Im endgültigen Plan wurde eine beidseitige, zentrale ‚Highstreet’ eingeführt. Nach dem Bau des Nord-Teils starb das Projekt infolge der Immobilienkrise und ein neues Konsortium griff mit einem besseren Entwurf den Süd-Teil auf.

Das Überseequartier ist ein Wolf im Schafspelz, ein durchgeplantes Top-Down Projekt der vorgefertigten Urbanität. Seine Merkmale sind aber die eines nachhaltigen, porösen und durchmischten Quartiers. Auf ausgeklügelte Weise kombiniert es Retail, Entertainment, Büros und Hotels, sogar das Kreuzfahrtterminal mit dem Busbahnhof, mit aktiven Strassenfronten und vielen Wohnungen. Mittlerweile sehen viele das Überseequartier als Rettungsboje für die kriselnde Innenstadt.

Das Kreativquartier Oberhafen dagegen, ist ein Schaf im Wolfspelz, weil wir mittlerweile wissen, dass Garagenbastler zu Weltunternehmen aufsteigen können. Die alte Gegenüberstellung von Low-Budget/High-Culture (die guten Kreativen) und High-Budget/Low-Culture (die schlechten Investoren) hat sich in der Makersociety versöhnt, wobei die HafenCity bei der Kuratierung eine Vorreiterrolle spielt, im Bewusstsein, dass Top-Down nicht ohne Bottom-Up und umgekehrt geht.

Disruption und Resilienz des Masterplans

Zwei Wahrzeichen auf den Höften, die Elbphilharmonie und der Elbtower, sind die Folge von ‚Disruption’. Zwar sind beide Ikonen auf für solche Projekte reservierten Positionen gelandet, es war aber weder ein Konzertgebäude noch ein superhoher Turm geplant. Die Elbphilharmonie wurde zum Katalysator für die HafenCity und die Innenstadt. Der Elbtower wird ein Katalysator zwischen den nördlichen und südlichen Stadtteilen. Warum aber wurde nach 20-jährigem Höhenregime ein Hochpunkt von 250m erlaubt? Braucht Hamburg eine Hochhausvision? Jedenfalls zeigt der Masterplan die Fähigkeit solche Störungen zu verkraften. Ein guter Städtebauentwurf zeichnet sich dadurch aus, dass er widersprüchliche Projekte verkraften kann ohne auseinanderzufallen.

Baukultur und die HafenCity

Stadtikone Elbphilharmonie der Architekten Herzog & de Meuron © Aita Flury

Baukultur

Die grossartige Elbphilharmonie steht auf einem Speicher, mit einer subtilen Referenz an Scharouns Philharmonie in Berlin. Der Elbturm übernimmt dies in seinem Dachschwung und erinnert an Mendelsohn und Poelzig. Abgesehen von diesen Ausnahmen ist die Architektur der HafenCity zurückhaltend, von gleicher Höhe und aus Backstein, mit flexiblen Erdgeschossen und Innenhöfen. Für diese städtebauliche Kohärenz braucht es wenige Regeln, weil Bauherren und Architekten sich freiwillig anpassen. In der Züricher Europaallee bilden Caruso St. Johns’s Turm-Duo ein Modell, das mehrere Architekten übernahmen, was die städtebauliche Kohärenz verstärkt hat.

Und so komme ich zurück auf den ersten Satz dieses Textes: Baukultur ist eine akzeptierte Form von Plagiat. Sie entsteht durch den lokalen Stand der Bautechnik, die das Ergebnis kumulativer Erkenntnisse der Technik ist. Weiter durch kulturelle und ökonomische Konjunkturen, die auch Bauordnungen informieren. Und damit verbunden, die Mode, die zur freiwilligen Gleichschaltung führt, die man Strömung, Schule oder eben Baukultur nennt.

Baukultur und die HafenCity

Europaallee Zürich. Transformation des Gebietes rund um den Hauptbahnhof Zürich in ein lebendiges Stadtviertel © René Dürr

Kees Christiaanse

Kees Christiaanse *1953 in Amsterdam, Prof. em. ir., ist Architekt, Stadtplaner und Gründer des Büros KCAP mit Niederlassungen in Rotterdam, Zürich und Shanghai. Neben seiner praktischen Arbeit, in der er sich vor allem auf Aufgaben in komplexen, städtebaulichen Situationen und auf die Leitung urbaner Prozesse richtet, leitete er von 2003 bis 2018 und nach einer Professur an der TU Berlin, das Institut für Architektur und Städtebau an der ETH in Zürich und war zudem ab 2010 am Future Cities Laboratory (FCL) in Singapur tätig. Er gilt als Experte im Bereich Hochschulcampusplanung, Waterfronts und Flughäfen, sowie der Revitalisierung vormaliger Industrie-, Bahn- und Hafengebieten.

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