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Superblöcke als Grundlage für ein neues Modell der Mobilität und des öffentlichen Raums - Barcelona als Beispiel

Luftaufnahme der Ensanche de Barcelona: Öffentlicher Raum für Mobilität © Stadtrat von Barcelona

10. November 2021
Salvador Rueda Palenzuela | Feuilleton

Superblöcke als Grundlage für ein neues Modell der Mobilität und des öffentlichen Raums - Barcelona als Beispiel

Mobilität ist eine der Nutzungen des öffentlichen Raums, aber nicht die einzige. Ihr Zweck ist vor allem die Funktionalität der städtischen Systeme. Die Gewährleistung einer geschickten Kombination von Funktionalität und anderen Nutzungen des öffentlichen Raums ist nicht einfach und ein Hauptziel des Superblock-Konzepts.

Städtische Funktionalität: Modell von Mobilität und öffentlichem Raum

Die städtische Funktionalität, die durch die Mobilitäts- und Dienstleistungsmuster einer jeden Stadt definiert wird, bestimmt weitgehend die Qualität und Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums. Es ist notwendig ein Mobilitätsmodell und parallel dazu einen nachhaltigeren öffentlichen Raum zu entwickeln: nur so kann ein besser zugänglicher, komfortabler, sicherer und multifunktionaler öffentlicher Raum gewährleistet werden, wo der Mensch Bürger sein kann, wo neben dem Recht auf Bewegung auch das Recht auf Austausch, Kultur, Freizeit, Meinungsäusserung und Demonstration ausgeübt werden kann.

Bei den gegenwärtigen Mobilitätsmodellen widmen die Städte den grössten Teil des öffentlichen Raums der Mobilität. Der höchste Anspruch unter diesen Bedingungen ist noch der Fussgänger, was aber eben auch einen Mobilitätsakt beinhaltet. Vielmehr sollten mindestens 75% des öffentlichen Raums den Bürgerrechten gewidmet sein. Der öffentliche Raum sollte ein Höchstmass an Lebensqualität bieten und komfortabel sein, ein attraktiver Raum sein: Ohne Lärm, ohne Luftverschmutzung und mit höchstem thermischen Komfort Möglichkeiten bieten für eine grosse Vielfalt an attraktiven Aktivitäten. Der öffentliche Raum sollte ein freier Raume sein, welche die Ausübung aller Bürgerrechte ermöglicht. Dafür muss er ergonomisch sein und sich durch gute Zugänglichkeit als auch angenehmen Proportionen zwischen Gebäudehöhen und Strassenbreiten auszeichnen.

Superblöcke als Grundlage für ein neues Modell der Mobilität und des öffentlichen Raums - Barcelona als Beispiel

Superblock von Sant Antoni in Barcelona © Stadtrat von Barcelona

Eine neue städtische Zelle: Der Superblock

Im Falle des Beispiels von Barcelona ist der Superblock eine ‚Zelle’ aus neun Blöcken, die durch ein Netz von Hauptverkehrsstrassen definiert ist, welches die Ausgangs- und Zielorte der gesamten Stadt miteinander verbindet. Bei der Vervielfältigung der Zelle innerhalb des städtischen Systems passt sich die Grösse den morphologischen und funktionalen Merkmalen der aktuellen Stadt an - das Projekt der Superblöcke ist eine Art städtisches Recyclingprojekt. Dabei wird die maximale Fläche des öffentlichen Raums, der heute vom Verkehr belegt ist, freigesetzt, ohne dass dabei die Funktionalität und Organisation des Systems beeinträchtigt wird.

Die neue Zelle wird durch die umlaufenden Basisstrassen definiert, auf denen der Durchgangs- und Anschlussverkehr mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50km/h zirkuliert. Die inneren Strassen (intervias) des Superblocks bilden ein lokales Netz mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 10km/h, die eine gemeinsame städtische Nutzung ermöglicht. Ein Superblock kann nicht durchquert werden, was bedeutet, dass die Bewegungen in seinem Inneren nur dann Sinn machen, wenn ihr Ursprung oder Ziel in den intervias liegt. Daher werden die Strassen des Viertels wenig oder gar keinen Lärm, keine Verschmutzung usw. zeigen und mehr als 70% des Raums, der derzeit vom Durchgangsverkehr belegt ist, wird für die Bewegung zu Fuss oder mit dem Fahrrad zur Verfügung gestellt.

Die Gründe für die Wahl der Zusammenfassung von 3x3 Blöcken zu einem Superblock beruhen auf der Idee der gleichen Zeitdauer um im Auto - mit der Durchschnittsgeschwindigkeit von 20km/h (Fall Barcelona) - einen Superblock zu umfahren wie ein Fussgänger - mit ca. 4km/h - um einen Block läuft. Durch die im Abstand von 400m vorhandenen Hauptkreuzungen ist die Synchronisierung der Ampeln zudem viel effizienter: Bei diesen Abständen kann man an eine Priorisierung der Ampeln für den öffentlichen Verkehr denken und vermeidet so eine Unterbrechung des Hauptverkehrsflusses aufgrund von Abbiegungen (zwei von drei Abbiegungen werden vermieden).

Superblöcke als Grundlage für ein neues Modell der Mobilität und des öffentlichen Raums - Barcelona als Beispiel

Jetziges und zukünftiges Netzwerk Schema, basierend auf Superblocks © BCNecologia

Der Superblock als Basis eines neuen Urbanismus-Modells

Der Superblock kann nicht nur die Basis eines funktionalen Modells jeder Stadt bilden, sondern sogar die Grundlage für ein neues Urbanismus-Modell sein. Die durchschnittliche Einwohnerzahl eines Superblocks in Barcelona liegt bei über 6000. Jeder Superblock entpuppt sich als eine kleine Stadt. Der folgende Abschnitt fokussiert deshalb den Superblock als Grundlage eines neuen Funktionsmodells und die Folgen für den öffentlichen Raum.

Superblöcke als Grundlage für ein neues Modell der Mobilität und des öffentlichen Raums - Barcelona als Beispiel

Karte der Superblocks in Barcelona. Der öffentliche Raum (rot angelegt) welcher der Mobilität dient © BCNecologia

Die Begrenzungsstrassen der Superblöcke (rot angelegt) umfassen ein Netz von Basisstrassen, auf denen der städtische Verkehr zirkuliert: Öffentlicher Verkehr, Privatfahrzeuge, Ambulanzen und Polizeifahrzeuge, Dienstleistungsfahrzeuge und, wenn der Platz es zulässt, Fahrräder. Dieses Grundstrassennetz, das grösste Orthogonalität aufweist, ermöglicht den Zugang zur Stadt mit der gesetzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit (50km/h). Das Grundnetz der Superblöcke reduziert die Länge der gesamten Straßen, die heute vom Durchgangsverkehr genutzt werden, um 61%. Diese drastische Reduzierung führt nicht zu einem proportionalen Rückgang des Fahrzeugverkehrs bei gleichem Leistungsniveau (gleiche Geschwindigkeit der Fahrzeuge im Verkehr). In Barcelona kann mit einer Verringerung des Fahrzeugaufkommens um etwa 13% ein ähnliches Serviceniveau wie heute erreicht werden. Funktionalität und Organisation des Systems bleiben somit erhalten. Die heute dem Durchgangsverkehr gewidmete Fläche beträgt fast 15 Mio. Quadratmeter, die Länge der der Mobilität gewidmeten Strassen fast 912km, was 85% der gesamten Strassen von Barcelona entspricht.

Superblöcke als Grundlage für ein neues Modell der Mobilität und des öffentlichen Raums - Barcelona als Beispiel

Öffentlicher Raum in Barcelona der dem jetzigen Durchgangsverkehr dient © BCNecologia

Die Auswirkungen des derzeitigen Mobilitätsmodells

Die Mobilität bringt derzeit die größten Probleme in der Stadt mit sich. Die Nutzung des öffentlichen Raums ist auf die Mobilität beschränkt und Barcelona widmet mehr als 60% des öffentlichen Raums und 85% der Straßen dem Verkehr. Die Ergebnisse einer von ISGlobal (Mueller et al., 2019) und BCNecologia (Rueda, S. et al.) für Barcelona durchgeführten Studie zeigen deutlich die Auswirkungen, die einige der Expositionen haben. Insbesondere (Mueller et al., 2019) berechnet die Anzahl der vorzeitigen Todesfälle (und die Ursachen), die durch die Implantation der Superblocks in Barcelona vermieden werden könnten (vgl. Abb.).

Superblöcke als Grundlage für ein neues Modell der Mobilität und des öffentlichen Raums - Barcelona als Beispiel

Jährliche, vorzeitige Todesfälle, die durch das Modell der ‚Superblöcke’ in Barcelona vermieden werden könnten
© ISGlobal

Salvador Rueda Palenzuela

Salvador Rueda Palenzuela *1953 in Lleida ist ein Stadtökologe, Biologe und Psychologe mit zusätzlichen Abschlüssen als Umweltingenieur und im Energie-Management. Zwischen 2000 - 2020 war er Direktor des Amtes für Stadtökologie von Barcelona. Seit 2021 ist er Präsident und Direktor der von ihm gegründeten Stiftung für Stadtökologie und Territorium in Barcelona. Er hat das Konzept des ökosystemischen Städtebaus und des ‚Superblocks’ entwickelt und betreibt angewandte Forschung im Bereich von Städtebau, Mobilität, öffentlichem Raum, städtischem Metabolismus, Biodiversität, ökonomischer Entwicklung und sozialer Kohäsion. Er ist Autor von zahlreichen Büchern wie z.B. ‘Urban Ecology’, ‘Ecosystemic Urbanism’, ‘Green Book on the Urban Environment’, ‘Barcelona a compact and complex Mediterranean city’, ‘Methodological guide for the calculation of urban planning indicators with ecological bases’, ‘Regenerating the Cerdà Plan: From Cerdà’s Block to the Ecosistemic Urbanism Superblock’, et al.

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